Hildesheim. Seit rund drei Jahren leitet Marietta Tebbenjohanns das Flüchtlings- und Integrationsprojekt „Flux“. Für ihr herausragendes ehrenamtliches Engagement in der Flüchtlingshilfe hat Oberbürgermeister Ingo Meyer Tebbenjohanns am Dienstag im Rathaus mit dem Kreuzbrakteat in Gold ausgezeichnet.
Der Kreuzbrakteat, ein Hildesheimer Geldstück aus den Jahren 1171 bis 1190, trägt die Umschrift „Ego sum Hildensemensis – Ich bin ein Hildesheimer“ und wird als Nachbildung in Form eines Ansteckers an Personen verliehen, die sich um die Stadt verdient gemacht haben.
„Um Krieg und Leid in den Krisengebieten der Erde zu entfliehen, suchten in den vergangenen Jahren hunderttausende Menschen in Deutschland Asyl. Dass Hildesheim diese Herausforderung, die mit der Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen verbunden ist, so gut meistern konnte, ist in hohem Grade auch Ihrem Engagement zu verdanken“, sagte der Oberbürgermeister. Mit „Flux“ habe Tebbenjohanns eine der wichtigsten Einrichtungen der Flüchtlingshilfe in Hildesheim ins Leben gerufen. Mit großem persönlichem Einsatz sei es ihr sowie ihren Mitstreitern gelungen, einen Ort zu schaffen, der vor allem Raum für Begegnung biete. In kurzer Zeit sei es ihr gelungen, ein Team mit rund 200 Ehrenamtlichen aufzubauen. Mit Angeboten wie Patenschaften, der „Flux“-Schule und der Arbeits- und Wohnungsvermittlung sei Tebbenjohanns Initiative wichtiger Partner in der städtischen Integrationsarbeit.
Hildesheim. Bereket Werede Tesfai (24) aus Eritrea macht eine Ausbildung zum Gärtner, Sumaya Mohamed Tahir (27) aus dem Sudan wartet gerade auf das Ergebnis ihrer Abschlussprüfung als Pflegeassistentin: Die beiden gehören zu den mehr als 50 jungen Menschen, die nach ihrer Flucht durch die Flux Flüchtlingshilfe einen Weg in den Arbeitsmarkt gefunden haben. „Wir wollen bei der Integration in die Gesellschaft helfen“, sagt Marietta Tebbenjohanns aus dem Leitungsteam der Organisation. Dafür sei Bildung besonders wichtig. „Aber die kostet viel Geld“, so Tebbenjohanns. Deshalb hat sie sich bei der Spendenwette des Lions Club Hildesheim-Marienburg beworben. Der mögliche Erlös soll in Lehrmaterialien, Sprachkurse, Prüfungsgebühren und Schulmaterialien investiert werden.
Bis jetzt konnten die etwa 250 Ehrenamtlichen von Flux alle Hilfesuchenden aus der Stadt und dem Landkreis unterstützen. Doch der Einsatz von Helfern und Spendern lässt nach Angaben der Organisatorinnen nach. „Es kommen nicht mehr so viele Flüchtlinge neu nach Hildesheim. Aber die Menschen, die hier sind, brauchen Hilfe, damit keine Parallelgesellschaften entstehen“, betont Tebbenjohanns. Nur wenn Ehrenamtliche und Spender aktiv bleiben, könne die Integration gelingen. „Wir schaffen das – vielleicht“, meint die Hildesheimerin, die zu den Gründerinnen der Organisation gehört.
Flux ist 2014 aus der ökumenischen Initiative „Miteinander Kirche sein“ entstanden. Menschen aus Syrien, Afghanistan, Nordafrika und anderen Ländern kommen in der Senkingstraße 10a unter anderem im Flux-Café, Kids-Café und Näh-Café zusammen. An jedem Werktag ist in den Räumen im dritten Stock der Flüchtlingsunterkunft etwas los: „Manche Menschen wollen einfach nur einen netten Nachmittag haben. Andere kommen mit Sorgen“, erzählt Tebbenjohanns. Bei Flux sind immer Ansprechpartner vor Ort – viele Geflüchtete finden auch Hilfe durch private Patenschaften, die Sylke Marx vermittelt.
In der Flux-Schule helfen Ehrenamtliche den Geflüchteten dabei, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Täglich bietet Flux zudem in Kooperation mit den Johannitern Deutschkurse für Frauen an. Während die Mütter lernen, spielen ihre Kinder im Fluxi, der Kinderbetreuung der Einrichtung. Für Marietta Tebbenjohanns und andere Mitglieder des sechsköpfigen Leitungsteams ist Flux zu einem Full-Time-Job geworden. Doch der Einsatz lohnt sich laut Tebbenjohanns: „Wir werden bunter und bunt ist immer schön“.
Info: Flux sucht Ehrenamtliche und ab September auch zwei FSJler. Kontakt: marietta.tebbenjohanns@flux-hildesheim.de.
Flüchtlingshilfe als Schul-AG
Schüler des Goethegymnasiums unterstützen Flux in der Senkingstraße
Hildesheim. Flüchtlingshilfe und Integration als Schul-AG – mit dieser Idee sind drei Schülerinnen des Goethegymnasiums nicht nur bei ihren Mitschülern gut angekommen, ihre Unterstützung trifft auch bei der Initiative Flux auf Begeisterung: „Ein tolles Engagement, wir sind sehr beeindruckt“, betont Marietta Tebbenjohanns vom Flux-Leitungsteam. Angefangen hat alles mit dem Seminarfach „Engagement an unserer Schule und in der Welt“ im 11. Jahrgang des Gymnasiums. Lehrerin Ann-Kathrin Harmening wollte damit ihren Schülern Einblicke in die Berufs- und Lebenswelt sozialer Einrichtungen verschaffen. Dazu gehörten auch Besuche beim DRK, bei Greenpeace oder im Tierheim. Die Schülerinnen Lea Ruthe, Julia Meyer und Beyza Özlük waren besonders beeindruckt vom Einsatz der Initiative Flux im Flüchtlingsheim in der Senkingstraße. Dort wollten sie sich selbst einbringen. Sie fanden die richtige Aufgabe zu erst bei der Kinderbetreuung.
Flux bietet im Heim ein Nähcafé für Frauen an, das praktischen Nutzen mit Geselligkeit verbindet. Während die Frauen nähen, spielen oder malen die Mädchen mit den Kindern zwischen vier und zwölf Jahren und fördern nebenbei deren Sprachkenntnisse. Die Kinderbetreuung sei zwar ganz schön anstrengend, findet Julia Meyer. „Aber wir lernen auch viel.“ Allerdings haben sie in der Oberstufe nicht so viel Zeit, wie nötig wäre. Da hatte Lehrerin Harmening die Idee mit der Schüler-AG. Die Organisation übernahmen die drei Mädchen und konnten zu Beginn des Schulhalbjahres 15 Mitschüler vom Goethegymnasium gewinnen.
Das reicht nicht nur, um die Kinderbetreuung während des Nähcafés sicherzustellen. Die Schüler beteiligen sich zusätzlich an der Deutsch-Nachhilfe für Erwachsene.
Um die deutsche Sprache möglichst gut und schnell zu lernen, besuchen viele Geflüchtete nicht nur einen Sprachkurs, sie wollen nachmittags zusätzlich pauken. Gar nicht so einfach, wenn sechs Personen sich ein Zimmer teilen, weiß Helge Hilgert vom Flux-Team. Mit Unterstützung der Stadt konnte die Initiative zwei Räume im Flüchtlingsheim fürdie„Flux-Schule“ herrichten. Hier sitzen jeden Nachmittag Frauen und Männer zusammen mit einigen Ehrenamtlichen von Flux und eben auch immer mit Schülern des Goethegymnasiums und beugen die Köpfe über ihre Arbeitsblätter. So wie Samuel Rossom und Tesfa Gidey, die gerade deutsche Pluralformen üben: Hand – Hände, Baum – Bäume… Ein bisschen schwierig sei das mit den Umlauten, aber nicht so schwierig wie die Zuordnung der Artikel, da sind sich die Männer aus Eritrea einig. Zum Glück haben sie ja Hilfe beim Lernen.
Heimat ohne ein Zuhause
Die Wohnungssuche wird für geflüchtete Menschen oft zur Belastungsprobe
Telefonieren, bis die Ohren glühen: Katrin von Lenthe (Mitte) und Dorothee Linke von der „Flux“-Flüchtlingshilfe haben zurzeit alle Hände voll zu tun, um für Menschen wie Ghirmay Teklemariam (links) eine Wohnung zu finden. Der 26-jährige Eritreer ist über Italien nach Deutschland geflüchtet, seitdem lebt er zu fünft in einem Zimmer in einer Flüchtlingsunterkunft. Acht Monate sucht er jetzt vergeblich mit dem ehrenamtlichen „Flux“-Team nach einer Wohnung – dabei würde er jede mit Kusshand nehmen. Nicht nur für ihn wird die Suche nach einem Zuhause allmählich zur Belastungsprobe. Doch es gibt auch Erfolge. In der Liebfrauen-Gemeinde hat eine Familie aus dem Irak ihr Glück gefunden – durch eine ganz besondere Zusammenarbeit.
… mehr im nachfolgenden Artikel.
Liebfrauen-Gemeinde nimmt Familie auf
„Flux“-Flüchtlingshilfe sucht Wohnungen für Geflüchtete
Hildesheim. Würden Katrin von Lenthe und Dorothee Linke für jeden Anruf, mit dem sie sich nach einer Wohnmöglichkeit für einen geflüchteten Menschen erkundigen, einen Euro bekommen – sie könnten wahrscheinlich einer vierköpfigen Familie eine Monatsmiete spendieren. Dass die beiden ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen der „Flux“-Flüchtlingshilfe in dem Fall nicht lange zögern würden, steht außer Frage. Nur sieht die Realität ernüchterner aus. Seitdem die „Flux“-Flüchtlingshilfe vor zwei Jahren ihre Arbeit aufgenommen hat, kümmert sich die Initiative unter anderem auch darum, Menschen aus den Hildesheimer Sammelunterkünften in eigene Wohnungen zu vermitteln. Seit Sommer 2015 konnte „Flux“ rund 20 Wohnungen vermitteln, aktuell suchen etwa 50 Geflüchtete Wohnraum. Das „Auszugsteam“, in dem auch von Lenthe und Linke tätig sind, fungiert praktisch als organisatorisches Bindeglied zwischen den Flüchtlingen und dem Hildesheimer Wohnungsmarkt. Neben der Angebotssuche übernimmt das „Auszugsteam“ auch den gesamten Verwaltungsaufwand: So muss etwa geprüft werden, ob ein bestimmtes Angebot den geltenden sozialrechtlichen Bedingungen entspricht, erst dann können entsprechende Genehmigungen vom Sozialamt oder Jobcenter eingeholt werden. Ist eine Wohnungssuche erfolgreich, koordiniert das „Flux“- Team anschließend den Transport der Erstversorgung von Möbeln und organisiert etwaige weitere Sachspenden, etwa vom sozialen Kaufhaus „Bazaro“ der AWO.
Doch ohne das richtige Understatement trägt bekanntlich auch das größte Engagement kaum Früchte. Daher ist vor allem der persönliche Kontakt zu den Vermietern für die Arbeit des „Auszugsteam“ wesentlich. Die Botschaft: So kompliziert ist das alles gar nicht. „Wir greifen denjenigen, die eine Wohnung anzubieten haben, stark unter die Arme“, versichert von Lenthe. Auch die Sorge, man hole sich durch die Vermietung an Ausländer womöglich „Mietnomaden“ ins Haus, kann von Lenthe ausräumen: Ob jemand vom Sozialamt betreut werde oder bereits Geld vom Jobcenter beziehe – die Leistungen kämen regelmäßig.
Im Grunde genommen also gute Voraussetzungen für das „Flux“-Team, Wohnungen für die Geflüchteten aus Syrien, Eritrea, Somalia oder dem Sudan zu finden, die etwa in der Unterkunft in der Senkingstraße wohnen. Oder doch nicht?
„Die Zeiten, in denen man schnell etwas fand, sind vorbei“, seufzt Linke, als sie ihr Handy zur Seite legt. Ein Vermieter habe ihr gerade mitgeteilt, dass eine erst kürzlich inserierte Wohnung bereits vom Markt sei. Seit August letzten Jahres sei die Wohnungssuche schwieriger geworden. Zum einen sei der Markt aus Sicht der Wohnungsanbieter inzwischen gesättigt, andererseits seien diese auch darum bemüht, Wohnungen in Miethäusern nicht homogen nur an Geflüchtete zu vermieten, so Linke. Vor allem alleinstehende junge Männer hätten dabei oftmals schlechte Karten. Linke weiß um die Vorbehalte: „Das ist leider eine Gruppe, an die sehr ungerne vermietet wird“, so die 66-Jährige. Neben dem generell knappen Wohnungsangebot in Hildesheim seien es auch die Vorurteile, mit denen Geflüchtete zu kämpfen hätten. „Der Satz ‚Wir vermieten nicht an Flüchtlinge‘ wird inzwischen viel besser verpackt“, berichtet von Lenthe. Oft hieße es stattdessen, die Mieterstruktur im Haus passe nicht zusammen oder man wolle nur Selbstzahler als Mieter. „Wenn man sagt, dass man nicht für sich selbst anruft, dann kippt schnell die Stimmung.“ Ob die Bereitschaft zur Hilfe nach dem Anschlag in Berlin im Dezember abgenommen hat, können von Lenthe und Linke hingegen nicht bestätigen: „Wir merken hier keine Auswirkungen davon. Menschen, die vorher schon hilfsbereit eingestellt waren, sind es jetzt immer noch. Daran hat sich nichts geändert.“Auch für Ghirmay Teklemariam wird die Wohnungssuche allmählich zur Belastungsprobe. Der 26-jährige Eritreer ist im November 2015 über Lybien und Italien nach Deutschland gekommen und lebt seitdem in der Flüchtlingsunterkunft in der Senkingstraße – gemeinsam mit fünf weiteren Geflüchteten aus Eritrea in einem Zimmer. Seit nunmehr acht Monaten versuchen von Lenthe und Linke eine Wohnung für den jungen Mann zu finden – bisher vergeblich. Warum das so ist, können sich die beiden Ehrenamtlichen nicht erklären. „Er ist wirklich nicht anspruchsvoll. Zu allen Wohnungen hat er ‚Ja, bitte!‘ gesagt“, so Linke. Ein desaströser Zustand – mit weitreichenden Folgen, wie von Lenthe ergänzt: „Wenn die Menschen nur unter sich sind, ist es kein Wunder, dass die Integration schwierig für sie ist.“ Für den jungen Eritreaer heißt es nun weiterhin: Geduld üben. Zu sechst in einem kleinen Zimmer zu wohnen, daran ist er gewöhnt. In Deutschland kennt er bisher nichts anderes. Wenn die Suche nach neuen Wohnungen für Geflüchtete wie Ghirmay Teklemariam auch zäh sein kann – manchmal endet sie mit großem Erfolg. Und mit einer nicht ganz zufälligen Zusammenarbeit. Mehrere Monate bereits hatte der Kirchenvorstand der Pfarrgemeinde Liebfrauen geplant, eine bis dahin leerstehende Wohnung in den Räumlichkeiten von St. Joseph für christliche Geflüchtete aufzubereiten. Schließlich dann die frohe Botschaft: Der Kirchenvorstand verständigte sich mit der Stadt als Kostenträgerin, die Renovierung der Wohnung konnte beginnen – was fehlte, waren Menschen, die darin wohnen sollten. Als kurz darauf Marietta Tebbenjohanns, die im Koordinationsteam der „Flux“-Flüchtlingshilfe tätig ist, von den Plänen in ihrer Gemeinde erfuhr, fackelte man nicht lange: Eine vierköpfige Familie aus dem Irak suchte über „Flux“ gerade händeringend nach einer geeigneten Unterkunft. „Das war ein Glücksgriff!“, freut sich von Lenthe über die erfolgreiche Zusammenarbeit der Flüchtlingshilfe und der Pfarrgemeinde Liebfrauen. Auch der stellvertretende Vorsitzende des Kirchenvorstands Alois-Ernst Ehbrecht ist begeistert von der Kooperation: „Ohne Flux wäre das alles so nicht möglich gewesen.“ Für die Renovierung der Wohnung, die jetzt für die Familie Amini reserviert war, konnte Ehbrecht darüber hinaus einen ganz speziellen Kanal anzapfen. Als Schulleiter der Elisabeth- von-Rantzau-Schule konnte er gemeinsam mit Lehrer Martin Bautz gut ein Dutzend Schüler des ersten Ausbildungsjahrs zum Erzieher/Sozialassistenten für die Mitarbeit an diesem Projekt begeistern. Diese hatten im Rahmen eines „Sozialen Tages“ im Dezember bei der Herrichtung der Wohnung geholfen – und sogar noch nach der Schule tapeziert, gestrichen und Material an Land geschafft. Eine Woche später erklärten die Helfer dann die Arbeit für beendet und die Wohnung für bezugsfertig.Damit Familie Amini pünktlich zum Weihnachtsfest einziehen konnte, verzichtete der Kirchenvorstand sogar auf drei Monatsmieten. Ehbrecht erläutert dieses Engagement: „Man kann nicht immer nur über Nächstenliebe sprechen, sondern muss sie auch in die Tat umsetzen.“ Er freue sich, dass die Familie wiederum aktiv am Gemeindeleben teilnehme. Denn nur, wenn man sich untereinander kennenlerne, ließen sich Vorurteile leicht aus der Welt schaffen. Man habe als Gemeinde von Anfang an etwas gegen die angespannte Flüchtlingssituation in Hildesheim tun wollen, bestätigt Pfarrgemeinderat-Vorsitzender Rolf-Michael Schulze und weist darauf hin, dass die Gemeinde auch weiterhin die neue Familie unterstützen und begleiten werde. „Es genügt nicht, lediglich ein Mietverhältnis zu haben“, sagt Schulze. Ein richtiges Zuhause, das ist eben mehr als nur die Summe der einzelnen Wände.
Wer „Flux“ unterstützen oder selbst Wohnraum für Geflüchtete zur Verfügung stellen möchte, kann mit Katrin von Lenthe, Telefon 01 70/9 85 89 09, oder Dorothee Linke, Telefon 01 52/26 11 41 99, Kontakt aufnehmen.
Stadt und Kreis rechnen mit 900 Flüchtlingen / Geld reicht künftig
Stadt und Landkreis Hildesheim rechnen für das Jahr 2017 mit knapp 900 neuen Flüchtlingen. Zurzeit leben rund 2.500 Asylbewerber in der Region. Das berichtete Constanze Sickfeld, Leiterin der neu geschaffenen Stabsstelle „Migration und Integration“ beim Landkreis, unter Berufung auf Zahlen des Landesinnenministeriums vom Dezember 2016. Diese könne der Landkreis weiterhin dezentral unterbringen. Wie berichtet, waren die diversen Gemeinschaftsunterkünfte im vergangenen Jahr aufgelöst worden. Besonders die Unterbringung von Flüchtlingen in Hotels hatte die Kosten in die Höhe getrieben, der Kreis war mit der Pauschale vom Land (10.000 Euro pro Flüchtling) im vergangenen Jahr nicht ausgekommen. Laut Sickfeld blieb unter dem Strich ein Defizit von 4,5 Millionen Euro, was 2017 eventuell aber wieder ausgeglichen werden könne. Bei der dezentralen Unterbringung werde der Kreis künftig stärker darauf achten, in welchen Kommunen bislang erst wenige Flüchtlinge untergebracht sind. Auf die Unterbringung in kleinen Dörfern mit wenig Infrastruktur soll künftig eher verzichtet werden. Anders als in vielen anderen Landkreisen zeige sich die Verwaltung bei anerkannten Asylbewerbern, für die fortan das Jobcenter zuständig ist, kulant. Eigentlich müssten diese die vom Landkreis angemieteten Räume verlassen und sich eigene Wohnungen suchen. „Wir tolerieren aber, dass sie in unseren Wohnungen bleiben.“ Die Kosten würden dem Kreis erstattet. „Eine Wohnung zu mieten ist für eine Behörde leichter als für einen Flüchtling“, nennt Sickfeld einen der Gründe.
Hildesheim. Während vielerorts geraunt wird, das ehrenamtliche Engagement in der Flüchtlingshilfe befände sich nach den Vorkommnissen während der Kölner Silvesternacht am kippen, liefert die Flux-Flüchtlingshilfe in der Nordstädter Senkingstraße ein erfolgreiches Gegenbeispiel. Waren es im vergangenen September noch knapp 50 ehrenamtliche Helfer, die sich etwa um die Vermittlung von Beschäftigungen, Auszugshilfe aus der Sammelunterkunft oder in Form von persönlichen Patenschaften von geflüchteten Menschen kümmerten (der KEHRWIEDER berichtete), verzeichnen Marietta Tebbenjohanns und ihr Koordinations-Team inzwischen beachtliche 220 ehrenamtliche Helfer in der Flux-Initiative.
Mittlerweile haben Tebbenjohanns und ihre Mitarbeiter die Räumlichkeiten innerhalb des Gebäudes gewechselt, gut 200 Quadratmeter in vier Zimmern stehen der Flüchtlingshilfe nun für ihre wachsenden Aufgaben zur Verfügung. Seit Sommer öffnet die Flüchtlingshilfe vier statt zwei Mal wöchentlich, dienstags bis freitags stehen von 16 bis 18 Uhr Angebote wie ein Spieltreff oder ein Nähcafé auf dem Plan. Der größte Raum ist immer noch dem „Café Flux“ vorbehalten, hier trifft man sich zum Plaudern, zum Kennenlernen – und kann nach den kräftezehrenden und oft auch stigmatisierenden Umständen der Flucht vor allem eins: Normalität erleben, ohne Enge, ohne Angst.Ein Drittel des Cafés ist unterdessen für die Kinder ausgebaut worden, hier stehen Spiele zur Verfügung, auch eine Kinderbetreuung kann in Anspruch genommen werden. Trotz der veränderten Räumlichkeiten und Koordination – auch die permanente Kleiderausgabe ist einer Erstausstattung gewichen – könne jedes Zimmer auch multifunktional genutzt werden, erklärt Helge Hilgert vom Flux-Team und zeigt auf die Tische, Stühle und Regale, mit denen im Nu der Team- in einen Aufenthaltsraum verwandelt werden kann.Die Stimmung unter den ehrenamtlichen Helfern in der Flux-Initiative sei nach wie vor gut, berichtet Tebbenjohanns: „Bei uns besteht ein hoher Andrang an Ehrenamtlichen. Wir freuen uns besonders darüber, dass sich viele junge Leute bei uns melden.“In den vergangenen Monaten hätten sich aufgrund der wachsenden Zahl von Geflüchteten und ehrenamtlichen Helfern auch die Angebote differenziert, daher werde man bis zum kommenden Sommer vorerst die bestehenden Angebote konsolidieren und anschließend darüber nachdenken, weitere hinzu zu nehmen, so Tebbenjohanns. Dazu komme, dass der gestiegene Umfang an Personal auch die Verbesserung der Kommunikation untereinander nötig mache. Deshalb sei in der kommenden Zeit neben den Angeboten für die Geflüchteten auch die Koordination der Helfer ein wichtiger Bestandteil der Aufgaben.
Hildesheim. Einen Satz hat Christl Bretschneider in den letzten Wochen immer wieder vor sich her gesprochen. Einen lebenswichtigen Satz. Oder besser: einen lebensbringenden Satz. „Hallo, hier spricht Adam, meine Frau bekommt ein Kind, sie muss ins Krankenhaus.“ Nicht müde wurde die 76-jährige Hildesheimerin, diese deutschen Wörter mit dem Sudanesen Kamal Adam einzuüben – schließlich müssen sie im entscheidenen Moment sitzen. Seine Frau Hanadi ist hochschwanger, jeden Tag können die Wehen einsetzen und Kamal muss zum Hörer greifen. Christl und Burkhard Bretschneider stehen dem sudanesischen Paar und ihrer zweijährigen Tochter Yakin nicht nur in Sachen Sprache mit Rat und Tat zur Seite. Vor ein paar Monaten hatte das Ehepaar Familie Adam in der Markusgemeinde kennen gelernt, die dort gerade an einem Deutschkurs teilnahm. Als Hanadi wegen ihrer Schwangerschaft nicht mehr kommen konnte, entschieden sich Bretschneiders, die junge Familie auch weiterhin ehrenamtlich zu unterstützen. Über die „Flux“-Flüchtlingshilfe knüpften sie daraufhin Kontakte und stehen seitdem mit der Nordstädter Initiative in engem Kontakt.
Bretschneiders halfen kurzum, als das Sozialamt den Umzug in eine Drispenstedter Wohnung vermittelte, griffen der Familie bei der Einrichtung unter die Arme, suchten Gardinen mit aus. Als die kleine Yakin einmal unter Zahnschmerzen litt, organisierten Christl und Burkhard Bretschneider kurzfristig einen Zahnarzttermin, den das Mädchen ganz tapfer hinter sich brachte. Einmal in der Woche fährt Christel nach Drispenstedt, um ein paar Stunden mit Hanadi und Yakin zu verbringen, die sie besonders ins Herz geschlossen hat. „Wir machen dann meistens einen Woman-Day!“, strahlt die rüstige Frau, die immer wieder betont, dass sie auch nur eine von unzähligen weiteren ehrenamtlichen Helfern ist, die sich in Hildesheim für geflüchtete Menschen engagieren.Die junge Familie ist vor etwa einem halben Jahr aus dem Sudan über Lybien nach Deutschland gekommen. Über die genauen Umstände ihrer Flucht sprechen sie kaum, auch Christel und Burkhard Bretschneider können über die Gründe nur spekulieren. Doch es sei eh viel wichtiger, sie in ihrem unmittelbaren Leben zu unterstützen, findet Christel Bretschneider: „Jetzt sind sie hier, jetzt muss man anpacken!“ Diese Art von Pragmatismus ist vielleicht auch ein bisschen der Tatsache geschuldet, dass ihr Mann selbst einst aus Schlesien geflüchtet ist. Natürlich seien das damals ganz andere Voraussetzungen und Umstände gewesen, erzählt der 83-Jährige, „doch eine Flucht, die vergisst man nie.“Das ungebremste ehrenamtliche Engagement der Bretschneiders steht auch in den kommenden Wochen und Monaten vor einigen Herausforderungen. Die Suche nach einem Kitaplatz für Yakin ist schon in vollem Gange, vor kommendem Herbst könne man sich aber kaum Hoffnungen machen, teilte man Christel Bretschneider nach einer entsprechenden Anfrage im Rathaus mit. Auch der gelernte Autolackierer Kamal Adam ist auf der Suche nach einer Beschäftigung, ein Praktikum bei einer Lackiererei in Bavenstedt hat er jüngst beendet. „Sie sind sehr bemüht, sich zu integrieren“, berichtet Christel Bretschneider, selbst die hochschwangere Hanadi habe ihr berichtet, dass sie so schnell wie möglich ihren Deutsch-Sprachkurs fortsetzen möchte. Bevor das alles geschieht, läutet aber erst noch in einem Hildesheimer Krankenhaus ein Telefon, an dessen anderem Ende dann jemand den Satz sagt: „Hallo, hier spricht Adam.“